Landespressekonferenz am 03.02.2005, 11.00 Uhr im Landtag

Datum: 03.02.2005

Kurzbeschreibung: 

Pressemitteilung Nr. 1 vom 03.02.2005

1. Bei den neun baden-württembergischen Arbeitsgerichten gingen im Jahre 2004 insgesamt 63.821 Urteils- und Beschlussverfahren ein. Hinzu kommen 612 Arreste und einstweilige Verfügungen. Dies ist der dritthöchste Jahreseingang seit Bestehen der baden-württembergischen Arbeitsgerichtsbarkeit. Damit haben sich die Eingangszahlen in den letzten drei Jahren auf einem sehr hohen Niveau verfestigt:

2002 65.064 Verfahren
2003 68.547 Verfahren
2004 63.821 Verfahren


Im Jahre 2000 waren „nur“ 50.451 Verfahrenseingänge zu verzeichnen.

Bei den neun Arbeitsgerichten haben sich die Eingangszahlen in den Jahren 2000 bis einschließlich 2004 wie folgt entwickelt:

 

E i n g ä n g e    (Klagen, Beschlussverfahren)

2000 2001 2002 2003 2004
Freiburg 7555 8116 9718 9923 8471
Heilbronn 3853 3975 5184 5094 4707
Karlsruhe 5377 6205 6631 6781 6259
Lörrach 2677 2983 3053 3541 3123
Mannheim 6106 6693 7671 8630 8820
Pforzheim 2831 2674 3207 3195 2886
Reutlingen 2876 3519 4266 4363 3877
Stuttgart 15087 17157 20294 21523 20439
Ulm 4089 4865 5040 5497 5239
insgesamt 50451 56187 65064 68547 63821


Um diese Eingangszahlen unter Achtung der Qualitätsstandards an ein rechtsstaatliches Verfahren zu bewältigen und um die in den Jahren 2002 bis 2004 aufgelaufenen Verfahrensrückstände (Ende 2004: 19.677 Verfahren) weiter abzuarbeiten, werden die vom Haushaltsgesetzgeber im Jahre 2004 zugewiesenen zusätzlichen 15 Richterstellen und 15 Stellen im nichtrichterlichen Bereich (jeweils mit kw-Vermerken) dringend weiter benötigt. Im Arbeitsrecht ist zügiger Rechtsschutz für Arbeitnehmer und Arbeitgeber von herausragender und oftmals existenzieller Bedeutung, zumal über 60 % der Verfahren Bestandsschutzstreitigkeiten (Kündigungsschutz- und Befristungsprozesse) sind. Eine zeitnahe Rechtssicherheit stärkt auch den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg und ist damit letztlich positive Arbeitsmarktpolitik. Die derzeitige Haushaltslage verlangt demgegenüber von der baden-württembergischen Arbeitsgerichtsbarkeit einen Stellenabbau und massive sonstige Haushaltseinsparungen.

2. Im Jahre 2004 gingen beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 2.219 Berufungen (2003 2019 Berufungen), 153 Beschwerden in Beschlussverfahren (in der Regel Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz; 2003 117 Beschwerden) und 750 sonstige Beschwerden (2003 626 sonstige Beschwerden) ein. Damit sind im Vergleich zum Jahre 2003 die Berufungsverfahren um ca. 10 %, die Beschwerden in Beschlussverfahren um ca. 30 % und die sonstigen Beschwerden um ca. 20 % gestiegen. Die signifikante Erhöhung der Rechtsmittelverfahren ist u.a. darauf zurückzuführen, dass seit Mai/Juni 2004 15 zusätzliche Richter/innen in der ersten Instanz arbeiten. Folglich werden die Eingangszahlen in der Rechtsmittelinstanz wohl weiterhin ansteigen, da sich zusätzliche Stellen in der ersten Instanz nach 6-9 Monaten durch steigenden Geschäftsanfall in der zweiten Instanz auswirken.

3. Derzeit wird die „Große Justizreform“ diskutiert.

3.1 In diesem Rahmen ist die Förderung der konsensualen Streitbeilegung zu begrüßen. Die Arbeitsgerichtsbarkeit verfügt mit der Güteverhandlung bereits über ein erfolgreiches Schlichtungsmodell.

Zusätzliche Lösungsansätze können u.a. sein:

-        Gerichtsnahe Mediation als richterliche Dienstaufgabe für besonders ausgebildete Richter/innen

-        Mediation als wahlweise Alternative zur Einigungsstelle in der Betriebsverfassung

-        Allgemeine Förderung der Mediation bei arbeitsrechtlichen Konflikten in der betrieblichen Praxis

-        Außergerichtliche Schlichtungsverfahren bei Tarifauslegungs- und Eingruppierungsstreitigkeiten
         (Schlichtungsausschuss paritätisch mit sachkundigen Vertretern der Tarifvertragsparteien besetzt)

3.2 Bei dem Vorhaben einer Vereinheitlichung der Gerichtsverfassungen/Prozessordnungen handelt es sich – soweit Verfahrensgrundsätze nicht entgegenstehen - um einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Anwenderfreundlichkeit des Verfahrensrechts. Die Maßnahmen können auch in gewissem Umfang zur Schonung der Personalressourcen der Justiz beitragen. Denn häufig ziehen prozessuale Fehler bearbeitungsintensive „Reparaturmaßnahmen“ wie z.B. Wiedereinsetzungsanträge nach sich.

3.3 Die Rechtsschutzgewährung durch zwei Tatsacheninstanzen hat sich aus der Sicht der Praxis im arbeitsgerichtlichen Verfahren bewährt. Die Arbeitsgerichte erster Instanz erfüllen ihre „Filterfunktion“ seit Jahren in hervorragender Weise. Eine Rechtsmittelquote von 3-4 % bei den Rechtsstreitigkeiten in Urteilsverfahren entspricht dem langjährigen Durchschnittswert in Baden-Württemberg. Wegen der Filterfunktion der erstinstanzlichen Arbeitsgerichte war es eine konsequente Entscheidung des Gesetzgebers im Rahmen der Zivilprozessreform, die Berufungsinstanz im Arbeitsgerichtsprozess in weitaus stärkerem Umfang als im Zivilprozess als Tatsacheninstanz beizubehalten. Die verschärften Regelungen des § 531 ZPO über die Zurückweisung verspäteten Vorbringens in der Berufungsinstanz wurden gerade nicht in das arbeitsgerichtliche Verfahren übernommen. Sofern die Geschäftsbelastung nicht – wie in den vergangenen drei Jahren – einen kaum noch zu bewältigenden Umfang annimmt, ist die Verfahrensdauer in der Arbeitsgerichtsbarkeit insbesondere auch wegen des erfolgreichen Instituts der Güteverhandlung außerordentlich kurz.

Bleibt die Eingangsinstanz als alleinige Tatsacheninstanz, so wird dies bei den Arbeitsgerichten erster Instanz zu einer nachhaltigen Erhöhung der Bearbeitungsintensität führen. Die Hinweispflichten werden noch umfangreicher wahrgenommen werden müssen. Beweisaufnahmen werden zunehmen. Ein ausufernder erstinstanzlicher Prozessvortrag und die Erweiterung von richterlichen Hinweispflichten wird die Verfahrensdauer in der ersten Instanz verlängern. Ohne eine deutliche Anhebung des Personalbestandes in der ersten Instanz wird die Umgestaltung des Rechtsmittelsystems auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Darf die zweite Instanz notwendige Tatsachenfeststellungen nicht selbst treffen, so kann dies zwar zu einer Verkürzung der Verfahren in der Rechtsmittelinstanz führen, dies jedoch auf Kosten der ersten Instanz, die sich nach der notwendigen Zurückverweisung erneut mit der Sache befassen muss.

 

Prof. Dr. Johannes Peter Francken
Präsident des Landesarbeitsgerichts 

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